Nach Paul Morphy (Teil 1) und dem Duo Adolf Anderssen / Lionel Kieseretzky (Teil 2) kommt in der heutigen Folge ein weiteres Schachgenie zur Geltung. Xenia Bayer erzählt die Geschichte eines Spieles, der sage und schreibe 9 Weltmeister besiegte, ohne selbst jemals einer zu werden. Darum gilt er auch als „Der Ewige Zweite“.
Hier ist die Geschichte eines beeindruckendsten Schachspielers des letzten Jahrhunderts.
Episodenskript
Hallo liebe Zuhörer,
ich heiße Xenia Bayer und das ist mein Podcast „Schach für Kinder“!
„Ein Schachgenie, Teil 3“
Vierzig Jahre lang war er einer der besten Spieler der Welt und trotzdem nannte er sich „der unglückliche Mensch“. Der ewige Zweite: bei den meisten Kandidatenturnieren, an denen er teilgenommen hat, erreichte er „nur“ den zweiten Platz. Der „Kronprinz des Schachs“: er spielte gegen zehn Schachweltmeister, gewann gegen neun, selber errang er aber diesen Titel nie.
Als 4-Jähriger lernte er Schach, indem er die Partien seines Vaters anschaute. In seiner kleinen Heimatstadt konnte er kaum Schachliteratur
finden und lernte die Schachnotation aus den Schachrätseln in Zeitungen. Er wurde dreimaliger Schülermeister.
DER ANFANG ALS FERNSCHACHSPIELER
„Eine abenteuerliche Partie war der schicksalshafte Angelpunkt und Beginn …(seiner) großen internationalen Schachkarriere…
Im Sommer 1930 erkrankte (sein Freund) Villemson schwer und war nicht mehr in der Lage, seine begonnenen Korrespondenzpartien fertig
zu spielen. …(Er) sprang für den Freund ein, fälschte Villemsons Unterschrift auf den Postkarten und spielte die Partien für ihn zu
Ende…Die pseudonym begonnene Leidenschaft ließ den jungen Mann nicht mehr los. Ab 1931 nahm … (er) an Fernschach-Turnieren teil, nun
unter eigenem Namen, aber weiterhin im riskanten Stil des Freundes…(Er) spielte bald bis zu 150 Partien parallel, experimentierte mit neuen Ideen in der Eröffnung und entwickelte sein Gefühl für präzise
(M.Ehn, H.Kastner „Schicksalsmomente der Schachgeschichte“)
Kombinationen… Bisweilen stellen seine Fernpartien in diesen Jahren im Übrigen ein kleines Rätsel dar, denn … (er) gab manche Partie plötzlich auf. Die Erklärung ist einfach: Der junge Mann hatte kein Geld mehr für Briefmarken!“
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Erste Siege gegen Schwachweltmeister
Bei der Schacholympiade in Warschau 1935 beeindruckte er als junges Talent mit seinen glänzenden Partien. Dort spielte er auch gegen Alexander Aljechin, den 4. Schachweltmeister. Das war seine erste Partie gegen einen Weltmeister. Diese Partie verlor er allerdings. Erst zwei Jahre später bei einem Turnier in Margate konnte er gegen Aljechin gewinnen.
Die nächste Gelegenheit gegen einen Weltmeister zu spielen ergab sich beim AVRO-Turnier 1938 in Holland. Bei diesem Turnier gewann das junge Talent gegen den 3. Schachweltmeister Jose Raul Capablanca.
Im Weltmeisterschaftsturnier 1948 verlor er vier von den fünf Partien gegen den zukünftigen 6. Schachweltmeister Michail Botvinnik, konnte aber gegen Wassili Smyslov, den späteren 7. Schachweltmeister zwei Mal und gegen Max Euwe, den 5. Schachweltmeister, vier Mal
gewinnen.
Matt in 6
Bei dem internationalen Turnier in Polen 1950 spielte er in einer Partie die Caro-Kann Eröffnung.
„Nach seinem 5. Zug (De2) war …(er) vom Tisch aufgestanden und
(M.Ehn, H.Kastner „Alles über Schach: Mythen, Kuriositäten. Superlative“)
betrachtete gerade nachdenklich die Stellung hinter dem Rücken des
Gegners. Als …(Schwarz) seinen Selbstmordzug (5…Sbd7) ausgeführt
hatte, ergriff … (er) still, über dessen Schulter hinweg, seinen weißen
Springer und zog auf das tödliche Feld d6 (6.Sd6). Als Gentleman, der er
war, ließ …(er) ein kaum wahrnehmbares „Matt“ hören.“
Matt im sechsten Zug! Unglaublich! Zu dieser Zeit zählte er bereits zu den besten Spielern der Welt.
„Er liebte das lebendige Angriffsschach, war ein brillanter Taktiker und großer Spezialist der Offenen Spiele. Sein Hang zu scharfen, heute teils
chessbase.com
als unseriös angesehnen Eröffnungen und Gambitvarianten hat ihn sicher manchen Punkt gekostet.“
Seine Auftritte bei Kandidatenturnieren
Im Kandidatenturnier in Zürich 1953 lag er zwei Punkte hinter Wassili Smyslov. In Amsterdam drei Jahre später lieferte er wieder ein Kopf-an-Kopf-
Rennen mit Smyslov. Am Ende gewann sein Rivale das Turnier und das Recht, mit dem amtierenden Schachweltmeister Michail Botwinnik um die
Schachkrone zu kämpfen.
Über ihn schrieb damals Friedrich Sämisch:
„Ich studiere gegenwärtig mit fanatischer Hingabe die Kandidaten-Partien! Dabei studiere ich aber vorerst mehr die Spieler, als die Partien und da ist mir besonders bei …(ihm) aufgefallen, er spielt wie der alte Lasker obgleich er doch noch gar nicht so alt ist. … Genauso wie dieser geht er nur noch dann aus sich heraus, wenn er „seine“ Partien bekommt, also eine bestimmte Art Stellungen, welche ihm liegen. Bekommt er aber keine derartigen
Stellungen, so spielte Lasker stumpfsinnig auf Remis, und …(er) erspart sich das sogar und bietet einfach Remis an.“
Beim Kandidatenturnier in Jugoslawien 1959 hatte er 1½ Punkte weniger als Michail Tal, der zukünftige 8. Schachweltmeister und in drei Jahren in
Curaçao einen halben Punkt weniger als Tigran Petrosjan, der spätere 9. Weltmeister.
In Riga unterlag er Boris Spassky im Viertelfinale der Kandidatenwettkämpfe 1965. Spassky wurde zum 10. Schachweltmeister. Mit seinem Team gewann er Gold bei den sieben Schacholympiaden und drei Europa-Mannschafts-Meisterschaften.
Tod und Würdigung
Das letzte Turnier seines Lebens spielte er in Vancouver, Kanada, 1975. Mit dem Siegerpokal im Gepäck starb er auf der Heimreise von diesem
Turnier an einem Herzinfarkt. (chess.com)
Anatoly Karpov, der 12. Schachweltmeister erinnerte sich:
„…(Ihn) werde ich für immer als ruhigen, intelligenten und höflichen Menschen in Erinnerung behalten. Aber am Schachbrett war er das genaue Gegenteil und überraschte seine Gegner mit scharfen Eröffnungen und einem harten Kampf.“
Er ist der einzige Schachspieler auf der Welt, dessen Porträt eine Banknote ziert.
An seinem 100. Geburtstag (am 7. Januar 2016) wurde seine Bronzestatue in seiner Heimatstadt Narva, Estland, enthüllt.
Der Weltschachverband nannte 2016 „das Jahr von … Paul Keres.
Bis zum nächsten Mal!
Eure Xenia Bayer
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